Alles über Kinderlangstöcke – Warum, Wann und Wie

Ab wann braucht ein blindes Kind einen Langstock?

Der erste Blindenstock. Die Zweijährige ist begeistert. Und weil die „Stockente“ aus Plüsch den Stock zu einem Freund macht, hat er auch schon einen Namen und eine Persönlichkeit. Lassen Sie dem Kind Zeit zu experimentieren. Stellen Sie nur langsam Regeln auf.

Wie Kishs zahlreiche erfolgreiche Mobilitätstrainings mit Kleinkindern zeigen, beginnt die Notwendigkeit von Langstocknutzung und akustischen Spielen spätestens, wenn das Kind erstmals selbst stehen kann, aber auch vorher. „Gebt den blinden Kindern einen Stock und sie sind plötzlich wie von Fesseln befreit“. Über diese Erfahrungen haben auch die Eltern blinder Kinder in England auf ihrer Website berichtet. Bronwen Scott (australischer Mobilitätstrainer) schreibt über die Erfahrung mit Kindern ab 10 Monate:  „I’m Starting to Walk – I Can Use a Cane!„. Aufgrund veralteter Auffassungen und restriktiven Krankenkassen wurden die Kinder in Deutschland bisher leider erst ab dem Schulalter mit einem Langstock versorgt. Eine natürliche Bewegungsentwicklung wird dadurch behindert.

Der Einstieg im ersten Lebensjahr ist optimal: Besonders die Akzeptanz des Stocks als „natürliches“ Sehwerkzeug entwickelt sich wie selbstverständlich, wenn früh begonnen wird. Denn die Gehirnentwicklung ist besonders in dieser Phase zugunsten dieser Techniken möglich.

Ein herkömmliches Langstock- und Mobilitätstraining ist meist erst ab einem 4 bis 5-jährigen Kind sinnvoll. Vorher sind Sie als Eltern gefragt. Der richtige Umgang mit dem Langstock muss aber erlernt und verbessert werden, wenn das Kind dazu bereit ist.

Kinder, die früh an die verschiedenen Orientierungsmöglichkeiten herangeführt werden, bewegen sich schon innerhalb weniger Tage natürlicher und kindgerechter, leben mitunter völlig auf und werden selbstsicherer.

Ein blindes oder stark sehbehindertes Kind benötigt unbedingt auch ein sogenanntes Mobilitätstraining von einer speziell qualifizierten Person, einer/m Mobilitätstrainer/in. In der Regel wird dies ab dem Alter von 5 bis 8 Jahren begonnen und erfolgt mehr oder weniger regelmäßig. Zum Beispiel 6 Monate lang alle 14 Tage. Das macht man alle ein bis 3 Jahre. Mindestens aber bei Umstellungen im Leben wie Einschulung, Schulwechsel, Neue Wege, Wechsel des Wohnortes etc.

Was ist ein guter Langstock?

Ein Langstock für Kinder bis zu sechs oder sieben Jahren sollte aus einem Stück bestehen und der Körpergröße des Kindes entsprechen. Er darf lieber etwas länger sein als zu kurz. Man sollte daher jährlich einen neuen passenden Langstock anschaffen. Kinder brauchen verhältnismäßig lange Stöcke, da sie damit mehr Sicherheit, also “Voraussicht” haben. Der Stock sollte möglichst leicht sein, sonst leidet das Handgelenk. Ein 90cm Stock darf etwa 90g wiegen.Die Spitze darf nicht schwer sein! Sie soll leicht über den Boden “tanzen” können. Die sogenannte Marschmallowspitze, die Birnenform oder eine kleine Halbkugel eignen sich. Eine große Kugel eignet sich nicht in der ganz frühen Lernphase, da sie sehr schwer ist. Später kann sie in Erwägung gezogen werden. Wir haben z.B. auf den sehr unebenen Bürgersteigen Berlins Probleme mit kleinen Spitzen, da sie sich in jeder Ritze verhaken.

Der Griff sollte dünn genug für eine Kinderhand sein und etwa 20% der Länge ausmachen, dadurch kann das Kind in engen Situationen und für die ideale Balance des Stockes auch weiter vorn greifen. Gummigriffe von Erwachsenenstöcken sind ungeeignet (zu dick und schwer)!

Wir empfehlen für alle Kinder bis 140 cm den von uns entwickelten Kinderlangstock und zusätzlich als Ersatzstock den kleinen Kinderfaltstock. Für Kinder ab 120cm den Telefaltstock TF25XL als Ersatzstock.

Gehen Sie so vor:

Gehen Sie zum Kinderarzt oder Augenarzt mit Ihrem Kind (oder ohne, wenn es dort bekannt ist) und lassen Sie dort sich ein Rezept über einen Kinderlangstock (einteilig/zweiteilig) UND einen Ersatzstock (als Telefaltstock TF) in der Größe Ihres Kindes (siehe unten „Welche Stocklänge“) ausstellen. Dann schicken Sie das Rezept an Comde-Derenda / Langstockabteilung (den Links oben folgen). Ein freundlicher Comde-Derenda-Mitarbeiter wird für Sie den Antrag bei der Kasse einreichen und die Langstöcke an Sie schicken.

Was sagt die Krankenkasse dazu?

Nach unserer Kampagne für Kinderlangstöcke und der Unterstützung durch Comde-Derenda, sind endlich 2017 Kinderlangstöcke auch ins Hilfsmittelverzeichnis der Krankenkassen aufgenommen worden. Daher ist jedweder Grund für eine eventuelle Ablehnung von der Krankenkasse vorgeschoben um Kosten zu sparen. Der Ablehnungsbescheid, den Sie ggf. erhalten ist Standard und nur als Abschreckung gedacht. Legen Sie Widerspruch ein! Ihre Krankenkasse MUSS den Langstock bewilligen! Andernfalls handelt sie grob fahrlässig und gefährdet die Entwicklung Ihres Kindes. Bitte weisen Sie auf unsere Veröffentlichung hin.

Übrigens: Der Langstock funktioniert bei kleinen Kindern unter 6 Jahre auch OHNE Mobitraining. Die früher erzwungene Verknüpfung der beiden Leistungen ist bei Kindern im Vorschulalter nicht sinnvoll. Es ist eine veraltete Ansicht, dass Stöcke an das Mobitraining angegliedert sind.

Welche Stocklänge ist richtig?

  • Für Kinder bis 6 Jahre werden einteilige, besonders leichte Stöcke in voller Körpergröße mit langen dünnen Griffen empfohlen.
  • Ab etwa 7 Jahren sollte der Stock bis zur Nase reichen und
  • ab der Pubertät dann in Erwachsenenlänge, also bis zum Kinn.

Blinde Kinder sollten sich bereits vor dem Gehen lernen an den Stock als Tastwerkzeug gewöhnen um ihn dann später möglichst selbstverständlich einzusetzen. (Quelle: Daniel Kish, M.A., M.A., COMS, NOMC, World Access for the Blind: A Perception Basis for Cane Length Considerations)

Haltung in der Kinderhand

Revolverhelden-Haltung

Wenn man als kleines Kind seinen Langstock in der Hand hat, dann darf das auch cool sein. Aber keinesfalls anstrengend oder auf die Gelenke gehend. Mit dieser natürlichen intuitiven Haltung freundet sich ein Kind am schnellsten an. Daniel Kish nennt es „Gunslinger Mode“, also in der „Revolverhelden-Haltung“. Den Arm einfach hängen lassen, ganz lässig, wie ein Westernheld, der immer schussbereit ist ;-) Erst viel später wird verfeinert. In zwei Stufen, so, wie die anderen Fotos es zeigen.

Nur für Erwachsene möglich: Kish-Technik "Feather Touch"

Nur für Erwachsene möglich, da der Daumen Gegendruck erzeugt: Kish-Technik „Feather Touch“. Dabei wird der Langstock so leicht über den Boden gependelt wie eine Feder.

Stockhaltung Alternativ für größere Kinder und Jugendliche sowie Erwachsene

Stockhaltung Alternativ für größere Kinder und Jugendliche sowie Erwachsene, die die Kish-Technik nicht anwenden können.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Stock wird in die natürliche Haltung der Hand (hängend neben dem Körper) hineingelegt. Das ist der sogenannte „Gunslinger Mode“. Der Daumen zeigt nach vorn. Die veraltete (für die Kriegsblinden in den 1940ern entwickelte) Haltung mit dem Zeigefinger nach vorn sollte nicht genutzt werden, denn diese Haltung ist unnatürlich und belastet Sehnen und Handgelenk. Mit 6 oder 8 Jahren kann die einfache oder fortgeschrittene Kish-Technik gelernt werden, die den Stock von unten umgreift und die Pendelbewegung mit den Fingern erzeugt.

Achtung: Der Stock darf vom Kind nicht als Gehilfe bzw. Stützstock zum Gehen lernen benutzt werden! Das Kind muss ohne Stock stehen und gehen können und den Stock nur zum orientieren locker vor sich her pendeln. Nicht aufstützen! Deswegen auch die Haltung: in die Hand legen wenn sie am Körper herunterhängt.

Der vierjährige Jamie Aspland ist hier mit seiner Mutter in einem Beitrag auf BBC Southeast England bei seinen ersten Erfahrungen mit dem Stock zu sehen.

Eine Empfehlung: Zwei Stöcke

Stellen Sie sich vor, Sie, stark kurzsichtig, sind im Urlaub und ihre einzige Brille wird von einem Auto plattgefahren. Wie fühlen Sie sich jetzt? Also: Schaffen Sie unbedingt zwei Stöcke an. Einen Stock braucht man immer als Ersatz, falls der andere kaputt oder verloren geht. Und das passiert immer wieder. Garantiert.

Holen Sie beim Augenarzt oder Kinderarzt ein Rezept „für einen kindgerechten Langstock in Körpergröße UND einen Ersatzstock“.

Regeln für den Langstock (für die Kinder)*

  1. Laß’ die Stockspitze auf dem Boden! Vor Dir, nicht neben Dir.
  2. Dies ist DEIN Stock, gib also auf ihn acht. Erinnere Dich, wo Du ihn hingelegt hast und gib ihn nicht einfach irgend jemandem.
  3. „Pimp My Cane!“ Gib‘ Deinem Stock einen Namen, verziere ihn (bitte nur ablösbares), zeig’ ihn Deinen Freunden und habt Spaß damit!
  4. Vertrau’ Dir! Wenn Du erst einmal festgestellt hast, wie selbständig Du mit Deinem Stock bist und wieviel Freiheit er Dir gibt, willst Du nicht mehr ohne ihn sein! Du weißt selbst, wie Du das machst, Du brauchst nur ein bißchen Hilfestellung.
  5. Laß’ jemanden wissen, wenn Dein Stock zu kurz ist oder wenn er kaputtgegangen ist und Du wirst einen neuen bekommen.

*Quelle: http://commonsense.org.uk/

Anderes Sehen e.V. meint, dass ein Langstock so wichtig für ein blindes Kind ist, dass wir schon knapp 400 blinden Kindern (unter 7) einen Langstock geschenkt haben, weil der Weg über die Krankenkasse nicht gangbar war oder unüberwindbare Schwierigkeiten bereitet hat! Heute übernehmen die Krankenkassen die Kosten.

Pimp my Cane

Ein Stocktier aus kuscheligem Material macht den Stock schnell zu einem Freund der ganz Kleinen. In diesem Shop gibt es mehrere Stocktiere im Zweier-Set.

Stocktier im Einsatz eines begeisterten Kindes

Stocktier im Einsatz eines begeisterten Kindes

Auf begrenztem Raum kann er auch mit Glitzerfolie oder Schmuck beklebt werden.

Informationen vom Blindenverband

Da es von keinem deutschen Blindenverband vergleichbares Material für Eltern blinder Kinder gibt, können wir Ihnen nur das Material des amerikanischen Blindenverbandes National Federation of the Blind (NFB) „Early Explorers“ zur Verfügung stellen, die bereits 1982 die ersten kindgerechten Langstöcke in Serienproduktion gebracht haben (Quelle). Der NFB hat ein sehr lehrreiches Video für Eltern blinder Kinder von 0 bis 7 Jahren. Das Video sehen Sie hier:

Eine britische Frühförderin schreibt

„Schauen Sie sich hier ein 2 Jahre und 4 Monate altes Mädchen an, wie sie den Langstock zur Orientierung, zum Erforschen und zum Erlernen Ihrer Umwelt einsetzt. Kleinkinder sollten sogar einen Stock erhalten, bevor sie gehen können. Sie können beobachten, dass sie den Stock nicht nur vor sich herschiebt, wie meine Schüler es bisher mit den schweren Rollspitzen getan haben. Sie haben die Spitze eher geworfen oder fallen lassen, weil sie damit nicht verstanden haben, welche reichhaltige Information sie daraus ziehen können. Der leichtere Langstock erst ermöglicht ihr damit Dinge zu berühren und zu erforschen und dadurch Objekte zu identifizieren. Sie können mich bei Fragen gern über alliveda@aol.com erreichen (bitte englisch).“

Eigenbau

Ein nach allen Kriterien guter Langstock ist nach unserer simplen Bauanleitung selbst zu bauen. Das ist sehr einfach und preiswert  (10 bis 20€). Wer es sich dennoch nicht zutraut, kann jemanden fragen. Man braucht nur eine Metall- oder Kunststoffsäge und eine Bohrmaschine. Alle Materialien lassen sich bestellen bzw. im Baumarkt kaufen. Falls Sie den Bausatz bauen, dann kaufen Sie gleich das Material für zwei oder drei Stöcke. Der zweite kann schon 10cm größer sein als der erste etc.

6 Antworten zu Alles über Kinderlangstöcke – Warum, Wann und Wie

  1. Anderes Sehen sagt:

    Im Namen von Anderes Sehen muss ich doch mal sagen, dass es mich immer wieder entsetzt, wenn Menschen falsche Dinge (auf Kosten der Qualität der Förderung eines Kindes) verbreiten und manche dieser Dinge auch so von vorgestern sind. Darum haben wir ja Anderes Sehen gegründet.

    Die Stocklänge ist natürlich nach individuellem Bedürfnis unterschiedlich. Für Kinder unter 9 würde ich aber immer mindestens Körperlänge empfehlen. Danach Nasenspitze und danach ganz vielleicht auch weniger, wenn es Richtung Erwachsene geht. Es fühlt sich für das Kind besser an, und sicherer.

    Zweitens, das mit dem Rezept und der Krankenkasse: Ab dem ersten Geburtstag bekommt man von der Kasse einen Stock bezahlt. Das haben wir durchgesetzt. Dazu steht der Kinderlangstock jetzt im Hilfsmittelverzeichnis. Natürlich nur der Stock ohne Mobitraining in diesem Alter. Das ist also NICHT zwangsweise aneinander gekoppelt! Ein regelmäßiges klassisches O&M-Training macht je nach Reife und kognitiven Fähigkeiten des Kindes ab 4 oder auch erst ab 7 Jahren Sinn.

    Drittens: Man kann auch mit 4 Jahren ein Rezept über (ich glaube 50) O&M-Stunden bekommen und hat beliebig viele Jahre Zeit, die Stunden nach Bedarf abzuarbeiten. Das haben wir bei unserer Krankenkasse jedenfalls mit unserer O&M-Trainerin problemlos so geregelt. wenn die Stunden verbraucht sind kann man (mit Begründung) weitere Stunden bekommen.

  2. Schiering sagt:

    Hallo zusammen,
    unser Sohn nutzt den Stock schon richtig viel, vielen Dank dafür nochmal. Haben das Gefühl dass er inzwischen wieder fast zu kurz wird d.h. er stellt ihn öfter wieder zu senkrecht auf. Gebt mir mal einen schlauen Ratschlag was zu tun ist. Gleichzeitig ist er aber auch zur Zeit so ein bisschen “ ich will alleine“ d.h. schlaue Ratschläge vom Mama und Papa sind nicht sehr willkommen. Es wäre also wieder mal dringend Zeit einen von den Mobilitätstrainern wieder da zu haben. Ist ein weiterer Termin geplant??? Ab wann ist es dann auch sinnvoll den Stock von der Länge zu tauschen und wie erfolgt dies dann. Stock zurück an Comde und neuen bestellen??

    Lg aus Bayern
    Mirjam Schiering

    • Steffen Zimmermann sagt:

      Hallo Frau Schiering,
      Wenn der Stock 5 bis 10 Zentimeter kleiner als das Kind ist, sollten Sie einen neuen Stock bestellen. Den ersten Stock verschenken wir bis auf weiteres gern. Wenn möglich versuchen Sie aber die weiteren Stöcke vom Kinderarzt oder Augenarzt verschrieben zu bekommen, dann spart das wertvolle Spendengelder. Mit dem Rezept einfach bei Comde anrufen und Details ausmachen. Er wird dann ebenso gratis (aber auf Kosten der Krankenkasse) zugeschickt. Wenn der alte Langstock noch irgendwie in Teilen nutzbar ist, dann bitte an Comde oder ein anderes kleines Kind weitergeben, zur Wiederverwertung!
      Im Herbst oder Winter wird es wieder Besuch von Juan Ruiz geben. Aber wir haben noch nichts Konkretes.

      • Schiering sagt:

        Danke, ja wenn er dann zu klein ist schicke ich ihn zurück. Und noch ist er auch nicht kaputt, er ist echt super stabil. Wenn ihr weiter plant dann denkt bitte auch an Süddeutschland bzw. an uns, wir versuchen aber Juan auch noch mal direkt anzuschreiben, wenn die Ferien vorbei sind.

        Grüße

  3. Utta sagt:

    Ich schreibe in meinem Hauptfach Pädagogik und Psychologie eine Hausarbeit über Blindheit, Blindenpädagogik und Fördermöglichkeiten um ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben führen zu können. An dieser Seite gefällt mir außerordentlich gut, dass es sehr viele gute Informationen zu diesen Themen gibt. Ich hoffe, dass sich noch einiges für blinde Kinder verbessern wird und wünsche euch sehr viel Erfolg!!!

  4. Joyce sagt:

    ich finde die Seite soooo unglaublich toll, ich halte ein Referat über blinde Menschen und ihren Alltag und finde die Echoortung richtig klasse, sodass sie natürlich erwähnt wird :)

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