Klicksonar (aktive bildgebende Echoortung)

Viele Blinde weltweit fahren Rad, spielen Basketball, gehen Bergwandern, Reisen und machen Sport – und das alles ohne Begleitung eines Sehenden oder eines Blindenhundes. Sie sind aktiv und selbständig. Durch die fortgeschrittene Variante der aktiven Echoortung, dem Klicksonar, gelingt es ihnen ohne Mühe ihre Umwelt zu „sehen“. Die Technik, bei der Blinde über das Echo ihres Zungenschnalzens im Gehirn ein Sehen-ähnliches Phänomen auslösen, macht blinde Menschen nach wenigen Wochen Übung schon unabhängiger.

»If human beings could see with sound, what else is possible?»
Brian Bushway, blinder Perceptual Mobility Trainer

Akustisches „Sehen“

Mehrere Fallen für blinde Fußgänger können mit Klicksonar vermieden werden

Mehrere Probleme in dieser Straßensituation für blinde Fußgänger können mit Klicksonar vorausgesehen werden. Wahrnehmbar sind aus 2 bis 5 Metern Abstand bereits: Herunterhängende Äste, das Straßenschild auf dem Fußweg, ein in den Weg ragender Mülleimer, das im Weg parkende Auto quer zum Fahrbahnübergang.

Diese fortgeschrittene Form der aktiven Echoortung bedeutet, aus dem zurückfallenden Echo eines scharfen Zungenklicks, ein recht differenziertes dreidimensionales Bild der Umgebung, genau wie bei Sehenden, im visuellen Cortex des Gehirns zu erzeugen. Diese 200 Meter und weiter reichende Technik wird Klicksonar (Englisch „Flash Sonar“) genannt, da sie die Umwelt blitzartig festhält – bei jedem Zungenklick. Das Gehirn lernt ohne Mühe, aber mit einiger Übung, aus den zurückfallenden Echos ein ähnliches Bild zu generieren, wie das Gehirn von Sehenden aus Lichtsignalen.

»Wir sehen mit unserem Gehirn, nicht mit unseren Augen. Wie ein Eindruck das Gehirn erreicht, ist dabei nicht wichtig.»
Paul Beach-y-Rita, Neurophysiologe und Pionier in der Erforschung der Neuroplastizität.

Jüngste Studien zeigen, dass das feste Verhältnis der Schallquelle (Mund) zum Empfänger (Ohr) entscheidend für die Akzeptanz der Echoinformation für die Bilderzeugung im Gehirn ist. Fingerschnippen oder Stockgeräusche können dies nicht bewirken, da die Geräusche weit vom Ohr entfernt generiert werden und sie daher nicht so exakte, unverzerrte Informationen zurückgeben. Auch strahlen diese in alle Richtungen ab, statt in die gewünschte Richtung. Der Zungenklick dagegen kann sehr genau in Tonhöhe, Richtung und Lautstärke gesteuert werden. Im fMRT konnte nachgewiesen werden, dass das Gehirn einer geübten Person Geräusche in zwei Kategorien trennt und an zwei unterschiedliche Hirnregionen weitergibt: Das was alle, auch sehende Personen bewusst hören, wird in den Hör-Bereich des Gehirns geschickt und die davon abgetrennten Echos werden in den Seh-Bereich des Gehirns geschickt, wo sie entsprechend zu einem Bild verarbeitet werden.

„Es ist wie Gips in eine Form zu giessen“ sagt Daniel Kish. „Das Echo nimmt die Form der Umgebung an.“

Anderes Sehen e.V., gegründet 2011 von Ellen Schweizer und Steffen Zimmermann, ist der Initiator und Namensgeber der Klicksonar-Technik im deutschsprachigen Raum.
Auf unsere Initiative hin wurden mindestens 1.000 Menschen in Deutschland, Österreich und der Schweiz in der Technik unterrichtet. Frühförderer, Eltern, Mobilitätstrainer und Blinde von 1 bis 74 Jahren. In Österreich wurde Klicksonar inzwischen vom „Bundesministerium für Bildung und Frauen“ in einem zweijährigen Projekt eingeführt und alle blinden Österreicher sowie Pädagogen können davon profitieren. In der Schweiz hielten wir einen ersten Workshop im Frühjahr 2014.

Was DANIEL KISH tut – erstaunlich, elegant – bringt einen ins grübeln, wie viel ungenutztes Potenzial innerhalb des menschlichen Körpers liegt. Kish, mit retinalem Krebs geboren, wurden um sein Leben zu retten, beide Augen im Alter von 13 Monate entfernt. Schon bald fing er an, ein Klick-Geräusch mit der Zunge zu machen. Es schien ihm zu helfen, besser klar zu kommen. Jetzt 47, navigiert er vor allem mit dieser Form der Echoortung – wie eine Fledermaus. Er ist so gut, dass er im Verkehr ein Fahrrad fahren kann. Seine Organisation, „World Access for the Blind“, lehrt auch anderen die Kunst des Klicksonars.

Herr Kish, wie funktioniert die menschliche Echoortung „Klicksonar“?

Von jedem Zungenklick werden Schallwellen erzeugt. Diese Wellen prallen von allen Oberflächen rundum zurück in meine Ohren – als schwache Echos. Mein Gehirn verarbeitet die Echos in dynamischen Bildern. Es ist wie ein Gespräch mit der Umwelt.

Was sehen Sie in Ihrem geistigen Auge wenn Sie klicken?

Jeder Klick ist wie ein schwacher Kamerablitz. Ich konstruiere ein dreidimensionales Bild von meiner Umgebung über Hunderte von Metern in jede Richtung. Aus der Nähe kann ich eine Stange von zweieinhalb Zentimeter Stärke erkennen. Auf 5 Meter erkenne ich Autos und Büsche. Häuser kommen in den Fokus bei 50 Meter.

Aber Sie haben trotzdem einen weißen Langstock.

Ich habe Schwierigkeiten bei kleinen Gegenständen auf niedrigem Niveau oder Orten, an denen der Boden abfällt.

Wie ist es, mit dem Fahrrad und Klicksonar?

Es ist spannend, erfordert aber sehr fokussierte und anhaltende Konzentration auf die Akustik der Umwelt. Ich klicke etwa zweimal pro Sekunde, weit mehr, als ich das normalerweise mache.

Ist es gefährlich, die Welt auf diese Weise zu erforschen?

Ein Großteil der Welt lebt in Angst vor Bedrohungen für Leib und Leben, die weitgehend eingebildet sind. Trotz meiner unersättlichen Gewohnheit auf alles raufzuklettern, habe ich mir als Kind nie einen Knochen gebrochen.

Wie schwierig ist es, anderen blinden Menschen Echoortung beizubringen?

World Access for the Blind hat fast tausend blinde Schüler in über 30 Ländern unterrichtet. Viele sind überrascht, wie schnell sie Ergebnisse bekommen. Ich glaube, die Echoortungs-Fähigkeit liegt latent in uns allen – da die frühen Menschen daran gewöhnt waren, als es noch keine künstliche Beleuchtung gab. Die neuronale Hardware scheint da zu sein und ich habe Möglichkeiten es zu aktivieren entwickelt. Das Sehen liegt nicht in den Augen, es liegt im Gehirn. Unsere Schüler sagen, sie haben eine Freiheit entdeckt, die sie nie vorstellen konnten.

Übersetzt aus einem Interview mit der National Geographic

Die größte deutsche Wissenssammlung zu Klicksonar:

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