Die "Keine Grenzen"-Haltung

»It’s not up to society to predefine limits for someone else. I tend to assume that the sky’s the limit.« Daniel Kish

Die in den USA gegründete und international arbeitende Organisation von Blinden und für Blinde „World Access for the Blind“ ist bekannt für ihre „No Limits“ (keine Grenzen)-Haltung, welche sagt, dass die Grenzen des Menschen nicht von seiner Blindheit gesetzt werden, sondern wie bei Sehenden persönlicher Natur sind. Es ist den blinden Mobilitätstrainern von World Access for the Blind wichtig, dass ihre blinden Schüler verstehen, dass sie die Möglichkeiten haben ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen – dass ihr Leben so reich an Lebensqualität, Perspektive, Spaß und Faszination ist, wie sie es sich wünschen.

„World Access for the Blind“ stellt die Behauptung auf, dass Blindheit nicht eine Behinderung im herkömmlichen Sinne sein muß. Die Barrieren entstehen vielmehr in der mangelnden Vernetzung der Blinden mit der Gesellschaft. Blindheit ist nach ihrer Ansicht lediglich eine Lebensbedingung, die bestimmte Herausforderungen mit sich bringt.

Jeder Mensch – blind oder sehend – stößt irgendwann an Grenzen. Bei jedem Menschen liegen sie anders. Würde man sehende Menschen als behindert bezeichnen, nur weil sie manche Dinge schlechter oder gar nicht können?

Wie werden blinde Kinder zu mutigen und selbständigen Menschen?

„Gegen einen Pfosten zu rennen ist unangenehm, aber nie in einen Pfosten rennen zu dürfen ist eine Katastrophe.“ Daniel Kish

Wir können aus der Erfahrung mit unseren eigenen Kindern und von den Berichten der WAFTB-Mobilitätstrainer einige Tipps geben. Die No-Limits-Haltung sollte von den Eltern, den Erziehern und der Familie, also allen Einflusspersonen beachtet und gelebt werden. Nicht die Blindheit setzt Grenzen, sondern die Persönlichkeit des Kindes und dessen Erziehungsverantwortliche.

„Ich bin blind, aber ich kann sehen!“ Frida, 4 Jahre

Zeigen Sie Ihrem Kind nie: Das kannst Du nicht …

kletterndes blindes Mädchen

Lassen Sie Ihr Kind nicht spüren, dass sie an seinen Fähigkeiten zweifeln, sondern ermutigen Sie es.

Ermutigen Sie es ohne Hilfe zu klettern, und vor allem allein zu gehen und zu rennen, selbst zu essen, beim Tisch decken zu helfen, oder gar Laufrad zu fahren! Es will und kann es! Tun Sie nicht alles für Ihr Kind, sondern mit Ihrem Kind. Helfen Sie ihm es selbst zu tun. Greifen Sie nur ein, wenn es konkret gefährlich wird, also dann, wenn Sie bei einem sehenden Kind auch eingreifen würden. Kündigen Sie aber Stolperfallen an und lassen Sie Ihr Kind daran üben. Verunsichern Sie Ihr Kind nicht durch Warnungen, was passieren könnte, sondern erklären Sie ruhig und sachlich ohne Warnungen. Streichen Sie „Achtung“ und „Vorsicht“ so weit wie möglich aus Ihrem Wortschatz. Verwenden Sie es nur bei akuter Bedrohung.

Ihr Kind kann alleine gehen, wenn es weiss wohin – wenn es eine Richtung kennt. Geben Sie ihm ein akustisches Ziel, dann wird es motiviert. Vermeiden Sie unbedingt, dass Ihr blindes Kind von der Führung an der Hand abhängig wird – es muss lernen alleine zu laufen, Treppen zu gehen, Ziele zu erreichen. Wenn es akustisch sensibilisiert ist, findet es auch irgendwann sein Zimmer, und dort, wenn es eine bekannte Ordnung hat, auch seine Spielsachen.

Behinderungen sind Teil menschlicher Vielseitigkeit. „Ich will nicht meine Blindheit loswerden, sondern die Vorurteile und Barrieren“

Zeigen Sie Ihrem Kind ein Klettergerüst oder eine Kletterwand und es klettert, zeigen Sie ihm eine Rutsche und es rutscht. Ein bis fünf mal will es Ihre Hand zur Führung, dann will es alleine weiter experimentieren. Genau wie ein sehendes Kind. Bauen Sie keine Watte-Welt um Ihr Kind, denn es lebt und wird leben in der realen Welt. Jedes Kind fällt, verletzt sich, hat Misserfolge. Ein blindes Kind leidet darunter genau wie ein sehendes Kind – aus den gleichen Gründen.

„Ihr blindes Kind empfindet keine Behinderung, wenn es ihm nicht anerzogen wird. Lassen Sie nicht zu, dass es von anderen Menschen in seinem Leben behindert wird!“
Steffen Zimmermann

Blinde Kinder gehen bewusster mit scharfen Messern und anderen gefährlichen Gegenständen um als sehende. Lassen Sie es immer und überall alles „begreifen“ und es wird mit Ihrer begleitenden Erklärung alles verstehen.

Anderes Sehen Hinweis

Ein wichtiger Hinweis für die Leser: Wir bemühen uns, Ihnen viele Tipps zu geben, wie Sie Ihr Kind gut fördern können. Bieten Sie Ihrem Kind durchaus alles an, darum geht es uns – aber drängen Sie es nicht! Jedes Kind hat seine eigene Reihenfolge und Geschwindigkeit Dinge anzunehmen und es gibt dafür keine Norm. Das gilt für Bücher, Braille, Laufen, Sprechen, Langstock und Klicksonar gleichermaßen. Und natürlich nimmt auch nicht jedes Kind alles an.

Nehmen Sie sich in allen Lebenslagen etwas mehr Zeit für Ihr blindes Kind. Es braucht sehr viele Ihrer Worte um zu wissen, was da zu hören und zu fühlen ist. So fühlt es sich immer sicherer in der Welt, denn es weiß, was da klappert, rauscht, knallt oder klingt. Beschreiben Sie jeden Raum, den es kennenlernt und ermutigen Sie das Kind zu Exkursionen, auch weit weg von Ihnen. Es soll gute Erfahrungen mit seinem Forschungsdrang machen. Machen Sie es neugierig und zeigen Sie ihm, dass es ein Spaß ist, Kontakt aufzunehmen und Dinge zu entdecken.

Um die entstehende Sorge vor dem Stolpern zu nehmen braucht das blinde Kind, genau wie ein sehendes Kind, „Voraussicht“. Der Langstock (Blindenstock) wird dem Kind die Hemmungen beim selbständigen Gehen nehmen. Er sichert die nächsten Schritte ab und warnt vor Hindernissen. Bei Zweijährigen nach und nach, bei Vier- bis Fünfjährigen wird er meist sofort und umfassend und erleichtert angenommen.

„Blinde Kinder brauchen kein Mitleid, sie brauchen Zuversicht!“
Ellen Schweizer

Kündigen Sie an, wenn Sie den Raum verlassen oder betreten. Überraschen Sie blinde Kinder nicht mit unangekündigten Berührungen (auch nicht an den Händen) oder gar unangekündigtem Hochheben, Drehen oder Schieben. Vermeiden Sie Radio- und Fernsehberieselung, denn es entkoppelt den Zusammenhang von Geräuschen und Sprache zu Objekten und Menschen – dadurch wird das Ursache-Wirkungsprinzip unterbrochen mit dem Ergebnis, dass relevante Geräusche und Stimmen ihre Bedeutung verlieren und ausgeblendet werden.

Zum selbständigen Leben gehört auch das Zurechtfinden in der unbekannten Umwelt. Schauen Sie auf unsere Seite für „Lehrpläne und Anleitungen“ für wichtige Tipps zur akustischen Sensibilisierung, die für die Wahrnehmung der Umwelt essenziell sind.

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