Die Braillezeile – Die ganze Welt durchs Nadelöhr
Ab der dritten oder vierten Klasse kommt das Kind nicht mehr ohne digitale Technik aus. Texte und Informationen müssen erarbeitet und bearbeitet werden. Hausaufgaben mit Lückentexten oder Rechenaufgaben mit Gleichungen. Die benötigten Informationen kann das Kind nicht sich nicht einfach nur anhören und merken, sie müssen kopiert und zusammengestellt werden. Dazu bedarf es eines Monitors bzw. Displays.
Für blinde Menschen ist das eine sogenannte Braille-Zeile (Braille Display), die es aber lediglich auf gleichzeitig 40 Buchstaben bringt. Das ist sehr sehr wenig. Zwei bis fünf Worte passen da rein. Angezeigt wird da natürlich nur der sogenannte Fokus. Mit Tasten und Befehlen wird dieser Fokus über den Bildschirm bewegt, bis das angezeigt wird, was man sucht. Den Cursor kann man dann durch Tastendruck an die gewünschte Textstelle setzen. Dann kann man über die integrierte Brailletastatur Text eingeben.
Schriftsprachkompetenz ist eine zentrale Kompetenz zur Teilhabe blinder und sehbehinderter Menschen:
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- schriftliche Kommunikation (z.B. per E-Mail, SMS)
- Verwaltung & Recht (z.B. Korrespondenz und Verträge
mit Behörden, Versicherungen) - Mediennutzung (z.B. Bücher, Internet)
- Aus- & Weiterbildung (Schule, Ausbildung/Studium,
Beruf, lebenslanges Lernen) - Kultur (z.B. Bücher, Museen)
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Eine Braillezeile kann sowohl 6-Punkt als auch 8-Punkt-Braille darstellen. Das wird alles über den Screenreader im Computer oder dem Smartphone gesteuert. Der Screenreader bestimmt auch, ob Vollschrift oder Kurzschrift angezeigt wird. Die Zeile selbst kann also „dumm“ sein.
Auch wenn es etwa ein dutzend Braillezeilen mit Tastatur und 40 Zeichen Anzeige auf dem Markt sind, so sind diese in der Regel geschönte und schöngeredete Steinzeitgeräte, die mit scheinbar modernen Features ausgestattet sind. Die Technik dahinter ist eine Katastrophe. Langsam, unflexibel, veraltet, inkompatibel, nicht updatefähig. Dafür sind die Kosten aber das genaue Gegenteil 3.000 bis 7.000 € werden dafür veranschlagt.
Kaufempfehlung
Wir machen es kurz:. Die einzige Braillezeile, die erträglich ist, ist die Focus Blue 40 Generation 5 von Freedom Scientific (Stand Ende 2024). Alle anderen haben entscheidende Nachteile, die nicht akzeptabel sind. Die Focus ist eine von dreien, die in Echtzeit zwischen mehreren über Bluetooth (hier 4.1) verbundenen Geräten umschalten kann. Da dies eine absolute Bedingung ist, kann keine andere Zeile ernsthaft empfohlen werden. Ein Schüler hat immer wieder die Notwendigkeit, zwischen Computer und Smartphone (oder Tablet) umzuschalten. Häufig sogar mehrmals pro Minute. Die Focus hat einige Zusatztasten, die die Bedienung erleichtern. Sie ist einigermaßen robust und mit ca. 565 g relativ leicht. Die Focus ist beim Einschalten sofort einsatzbereit, was nicht selbstverständlich ist. Es muss kein Betriebssystem geladen werden. Die Focus kann mit Mac und PC betrieben werden und wird von jedem Screenreader (VoiceOver, JAWS, NVDA etc) unterstützt.
Der richtige Computer mit ScreenReader zur Braillezeile
Vor allem, wenn früh mit der Braillezeile gearbeitet wird, entspricht die Bildschirmdarstellung der Braillezeile 1:1 (alle Buchstaben werden abgebildet, es gibt keine Kürzungen). Damit lässt sich dann auch Englisch lesen und schreiben unterrichten (genauso wie es die Mitschülerinnen auch tun). Ein weiterer Vorteil: alle digitalen Texte sind sofort per Braillezeile verfübar (ohne Konvertierung). Alle gängigen Brailledrucker können Eurobraille ausdrucken (genauso wie alle 6-Punktschriften, auch englische Kurzschrift etc.), so dass Fibeltexte etc. auch auf Papier gelesen werden können.
Im Laufe der Grundschulzeit bzw. in Klasse 5 oder 6 findet dann der Einstieg in die deutsche Vollschrift und in die Kurzschrift statt (vornehmlich zum Lesen). So ist das Vorgehen im Unterricht in der Integration in Baden-Württenberg oder Schleswig-Holstein. 8-Punkt-Braille (Eurobraille/ Computerbraille) hat besonders im Unterricht in der Inklusion Sinn, da dann tatsächlich 1:1 gemeinsam gelernt werden kann – z.B. Großschreibung, Textdokumente auch von Klassenkameraden sind sofort in Punktschrift verfügbar etc.. Eurobraille ist das 8-Punktsystem, das es ermöglicht jedem Schwarzschrift-Zeichen (auch @ oder &%$§ u.s.w.), auch den Großbuchstaben, ein eigenes Punktschriftzeichen zuzuweisen.
An der Ausstattung Computer mit Braillezeile (Das ist eine Punktschrift-Lesezeile zum Computer, auch Braille-Display genannt) und Screenreader kommt man langfristig nicht vorbei. Der Screenreader „übersetzt“ die Bildschirminhalte in sortierten, navigierbaren Text und gibt sie als Text auf die Braillezeile und/oder als Sprache aus.
Es gibt mehrere Möglichkeiten für die Ausstattung:
- Ein PC-Laptop (700 bis 1.200€) mit
- dem kostenlosen Windows-Screenreader Narrator
- dem kostenlosen Open Source-Screenreader NVDA
- oder dem extrem teuren JAWS (> 2.000€ und Achtung: mit zwingend erforderlichen jährlichen hohen Updatekosten, die ab der 10. Klasse selbst bezahlt werden müssen!).
- Ein Apple MacBook Air (900 bis 1.200€) oder iPad (ab 540€) mit dem bereits von Haus aus im System integrierten kostenlosen Apple-Screenreader VoiceOver. Alle Apple-Geräte (sowohl MacOS als auch iOS und WatchOS) sind ab Werk schon für blinde und sehbehinderte Nutzer vorbereitet und sind sehr einfach zu bedienen. Es können beliebige Bluetooth-Braillezeilen am MacBook, iPhone oder iPad verwendet werden. Mehr Informationen zu Apple bei Apfel-Fleger.
- Ein Apple iPhone (600 bis 1.200€) und dazu ab der 9. Klasse ein iPad (ab 540€) mit dem bereits von Haus aus im System integrierten kostenlosen Apple-Screenreader VoiceOver. Alle Apple-Geräte (iOS und iPadOS) sind ab Werk schon für blinde und sehbehinderte Nutzer vorbereitet und sind sehr einfach zu bedienen. Es können beliebige Bluetooth-Braillezeilen am iPhone oder iPad verwendet werden. Mehr Informationen zu Apple bei Apfel-Fleger. Das iPad kommt dazu, um beide Geräte parallel im Unterricht nutzen zu können. Auf dem einen Gerät läuft man lesend durch den Text und mit dem anderen schreibend. Das Springen im Text ist zu anstrengend und zeitraubend.
Die Lösung „PC mit JAWS“ ist also die in der Anschaffung teuerste Lösung (mehr als doppelt so hoch wie ein MacBook) und die einzige, die erhebliche Folgekosten für das Sozialsystem verursacht. Und: wenn die Kosten dann ab der 10. Klasse nicht mehr von der Krankenkasse übernommen werden, muss man die Updates selbst bezahlen. Eine echte Kostenfalle.
Der Computer ist, je nach Schule und Lerngeschwindigkeit ab der dritten oder fünften Klasse erforderlich um als blinder Schüler überhaupt am Unterricht teilnehmen zu können. Was die Wahl des richtigen Systems betrifft (weil die Wahl des richtigen Computers auch den ScreenReader betrifft) liest sich der Rat vom Profi STEPHAN MERK so:
„Für reine Standardanwendungen im privaten Umfeld und auch in vielen Arbeitsumgebungen bietet NVDA … eine zeitgemäße Ausstattung, kommt mit nativen Microsoft-Anwendungen und Office zurecht, kann bedingt auch angepasst werden und ist vor Allem kostenlos. … Anwender, die nicht mehr als Windows nutzen, im Internet surfen, Mails schreiben und Textverarbeitung machen, brauchen JAWS und Co. nicht wirklich. Zu allem wird auch der Microsoft Narrator immer besser und kann sogar NVDA in vielen Bereichen überflüssig machen. Schlussendlich kostet auch ein MacBook mit VoiceOver nicht mehr, als eine JAWS-Lizenz.“ Zitiert aus: „JAWS oder die Marktberechtigung für teure Screenreader“
Mit zehn Fingern „blind“ schreiben lernen
Eine Mutter empfiehlt: „Unser Sohn lernt gerade das 10 Finger System (2. Klasse). Unsere beste Lehrerin der Welt verwendet dazu kostenlose Lernprogramme, den MaschTrainer sowie den Keyspeaker. Wahrscheinlich ist euch das eh bekannt. Falls nicht: klare Empfehlung unsererseits!“
Eine andere: „Wir haben und hatten den Goldfinger Junior. Hat wenig gekostet, liest aber auch automatisch die Buchstaben und das Übungsdiktat vor, weil man ja immer wieder mal „blind“ schreiben soll. Ist ok, manche „Fach“-Begriffe muss man aber Kindern erklären.“
Geht da noch mehr? Nur 40 Zeichen? Wie wäre es mit 360?
Ein E-Book-Reader wäre doch eine tolle Alternative zur Braillezeile. Eine Braillezeile mit nur 40 Zeichen ist etwa, als ob wir alle Bücher, Zeitungen und das Internet, unsere Mails und unsere Doktorarbeit auf einem Taschenrechnerdisplay lesen und bearbeiten müssten! Der Canute360-E-Book-Reader ist wenigstens in einem Bereich eine deutliche Verbesserung: Er kann 9 Zeilen mit je 40 Zeichen darstellen. Zum Lesen von Büchern eine erhebliche Erleichterung.
Wie kommt der Punkt dann in das Papier?
Das Ausdrucken (egal in welcher Schriftart) ist relativ einfach. Sie brauchen einen Brailledrucker (möglichst einer, der doppelseitig ausdrucken kann).
Wer mit dem Mac arbeitet und einen Index Everest als Drucker hat, benötigt kein Konvertierungsprogramm. Der Text kann aus jeder beliebigen Textverarbeitung einfach über den normalen Drucken-Dialog ausgedruckt werden. Die Braillekonvertierung (und auch die Einstellungen, wie Eurobraille, Vollschrift, Kurzschrift, Englisch, oder andere Sprachen) werden im Drucker verarbeitet. Allerdings sollte man vorher den Text „putzen“, denn man kann Texte noch lesefreundlicher machen. Zum Beispiel Absätze und Leerzeilen ersetze ich mit „Suchen und ersetzen“ durch zwei Absätze und zwei Leerzeilen. Das macht die Punktschriftseiten übersichtlicher. So machen wir es, denn wir sind es gewohnt mit Mac zu arbeiten und freuen uns, dass wir nicht erst konvertieren müssen.
Wer mit dem PC arbeitet nutzt meist das Konvertierungsprogramm RTFC. Das ist momentan das am weitesten verbeitete Konvertierungsprogramm. Dieses Programm wurde in Deutschland entwickelt und hängt sich in Word hinein, so dass sehr bequem Texte direkt umgewandelt und ausgedruckt werden können. RTFC kann jede Variante für den Ausdruck vorbereiten: Eurobraille, Vollschrift, Kurzschrift und auch englische Kurz- und Vollschrift oder Französisch.
Gekaufte Bücher
Bücher, wie Kindle und Co: Texte kann man auch aus E-Books extrahieren, selbst wenn diese DRM-geschützt sind. Das ist in unserem Sonderfall (für einen blinden Menschen) legal.
Für das Einscannen von Texten auf Papier (das geht natürlich meist nur Blockweise) empfehle ich den „FineReader“ von Abbyy oder die App „TextGrabber“. Die so entstandenen Texte müssen dann noch in einer Textverarbeitung korrigiert werden, da manche Zeichen falsch erkannt werden.
Bücher lesen auf Brailledisplay oder auf Papier?
Bücher in gedruckter Form sind groß, dick und sperrig, wenn sie in Punktschrift gedruckt sind. Die Brallezeile ist viel mobiler. Doch leider fehlt ihr das schöne Gefühl auf Papier zu lesen und in einem Buch voranzukommen. Außerdem will man nicht gern Elektronik im Bett haben. Aber auch die Vorteile sind nicht von der Hand zu weisen:
Hier behandeln wir das Lesen von Büchern auf der Braillezeile
eBook-Bibliothek auf der Braillezeile
Auf Braillezeilen wie der Focus40 können elektronische Bücher gespeichert und gelesen werden. Diese müssen im txt-Dateiformat vorliegen. Für die Konvertierung von eBooks ins txt-Dateiformat gibt es im Internet zahlreiche kostenfreie Websites, die jedoch bei urheberrechtlich geschützten Werken aus diesem Grund nicht verwendet werden dürfen. Eine Konvertierung ins txt-Dateiformat ist aber auch auf dem eigenen Rechner (nur für den persönlichen Gebrauch) möglich.
Ausgangspunkt dafür ist ein eBook im ePub-Format ohne „harten“ DRM-Kopierschutz („Wasserzeichen“ als Kopierschutz sind ok). Sehr viele Buchhandlungen bieten dieses Format für elektronische Bücher an – Amazon nicht, dafür aber beispielsweise die Webshops der lokalen Buchhandlungen [www. buchhandlung.de]. Nach dem Herunterladen des eBooks, kann es mit dem Programm Calibre geöffnet und in das txt-Format konvertiert werden. Bei der Umwandlung können in Calibre über die Einstellungen zur Umwandlung überschüssige Leerzeichen und fehlende Leerzeilen etc korrigiert werden.
Sollen anschließend Formatierungen vorgenommen werden, so kann dies mit einem Textverarbeitungsprogramm passieren. Wichtig dabei, dass die Datei anschließend im txt-Dateiformat in UTF-8-Kodierung gespeichert wird. Die so erstellte Datei kann auf die Braillezeile per USB-Kabel oder Stick übertragen und unter FSI -> Focus5 -> Scratchpad -> Books, gespeichert werden. Ob das Vorgehen so auch für andere Braillezeilen mit internem Speicher / SD-Karte Funktioniert, wissen wir nicht. Dima und ich wären an Rückmeldungen sehr interessiert unter dmitri.heerdegen@posteo.net.
Maike Limprecht
(Erstveröffentlichung in der „Lupe“ vom bebsk, mit freundlicher Genehmigung der Autorin)
eBook-Bibliothek auf dem iPhone oder iPad
Wie im vorigen Beitrag geht es hier um die Möglichkeit, einzelne Bücher zu kaufen oder eine Sammlung von Büchern anzulegen und diese auf der Braillezeile zu lesen. Die Appleeigene App „Bücher“ ist barrierefrei gestaltet und kann mit VoiceOver und der Braillezeile vollumfänglich genutzt werden. Wenn ein Buch gekauft und heruntergeladen wurde, kann direkt und ohne weitere Umwandlung mit dem Lesen begonnen werden. Dies ist somit die uns derzeit schnellste und einfachste bekannte Methode zu einem aktuellen Buch zu kommen.
Das gleiche hätten wir uns von Amazons Kindle-App für iPhone gewünscht, aber nach dem Kauf und Download eines Buches stellte sich heraus, dass dieses gänzlich unformatiert auf der Braillezeile dargestellt wird. Absätze und Leerzeilen waren verschwunden und das ganze Buch ein einziger Textblock. Also nicht lesbar.