Gastbeitrag: Vergleich der Kinderförderung in Deutschland und USA

Gastbeitrag von Dr. phil. M. Ed. Marion Felder

Meine Kollegin Deborah Crosby und ich haben uns den Film auf Ihrer Webseite angeschaut. Ich bin absolut begeistert von dem, was Sie machen!

Wir sind beide langjährige O&M LehrerInnen in den USA. Ich lebe seit 16 Jahren in den USA und arbeite als O&M Lehrerin, Blinden- und Sehbehindertenlehrerin und Taubblindenlehrerin. Ich habe 2008 an der HU in Berlin in Blinden- und Sehbehindertenpädagogik promoviert und von 2007-2009 in Berlin gelebt.

Was mir in Deutschland aufgefallen ist, ist die mangelnde Förderung von blinden Kindern im O&M Bereich überhaupt. Ich war, ehrlich gesagt, schockiert von dem, was im vorschulischen Bereich in Deutschland abläuft. Dabei ist schon lange wissenschaftlich bewiesen, wie wichtig die ganz frühe O&M Förderung ist.

Meine Kollegin, die mit mir gestern den Film angeschaut an (sie ist seit über 30 Jahren O&M Lehrerin) war absolut verblüfft, dass Sie, als Eltern, hier das Stocktraining übernehmen müssen. In den USA lauft es so, dass bis zum Alter von 3 Jahren O&M durch Blinden-und SehbehindertenlehrerInnen abläuft. Die meisten haben duale Qualifikationen, also sind auch O&M LehrerInnen.

Hier in den USA bekommt schon jedes 3-jährige Kind einen sogenannten Pre-Cane. Am 3. Geburtstag (wirklich, an dem Tag) kommen alle sehbehinderten und blinden Kinder in die Schule, von 9 Uhr bis 15 Uhr nachmittags. Die Eltern haben die Wahl zwischen Inklusionsschulen und separaten Schulen.  Eltern können sich hier 10 verschiedene Schulen anschauen und überlegen, wo ihr Kind am besten gefördert wird. Meistens ist es so, dass ein regelrechter Wettbewerb um das Kind entsteht und wer es am besten fördern kann! Alle 3 Monate gibt es „Fortschrittsberichte“ an die Eltern.  Hier wird das Stocktraining dann sofort von O&M Lehrern übernommen. Selbst bei Kindern, die nicht laufen können und zusätzliche Behinderungen haben, wird O&M Training angeboten.

Ausserdem gibt es systematischen O&M Unterricht, von mindestens 2 Stunden in der Woche, als Teil der schulischen Bildung im Kindergarten/Schule (zumindest im Bundesstaat Massachusetts).  Das denke ich, ist ganz, ganz wichtig, die Systematik und Verankerung in der Schule/im Kindergarten. Der Unterricht sollte immer durch ausgebildete O&M LehrerInnen erfolgen. Auch sehr wichtig. Echolokation und Echoortung sind Teil des O&M-Unterrichts. Es gibt auch verschiedene Curricula, da alles auch der kindlichen  Entwicklung angepasst werden sollte.

IRIS und BLISTA sind starke Organisationen und ich weiss, dass auch dort immer bemängelt wurde, dass O&M erst so spät angeboten wird. Ich glaube, es hat grundsätzlich  damit zu tun, dass die vorschulische Bildung in Deutschland überhaupt abseits des Schulwesens steht. Für viele Kinder ist dies fatal. Mit PISA hat ja ein Umdenken stattgefunden und Sie haben im Moment wahrscheinlich die besten Chancen, etwas zu verändern. Die Barrieren bestehen auch im Denken, das ist mir auch während meiner Zeit an der HU sehr bewusst geworden. Ich bin froh, dass Prof. Austermann hier so engagiert ist, Prof. Nater, sein Vorgänger, war es auch. Das Dilemma in Deutschland ist auch, dass O&M nicht an Universitäten verankert ist, die praktische Ausbildung zwar sehr gut ist, aber die Forschung doch zurückbleibt (und damit eben auch Methoden wie Flash-Sonar).

Ich finde ihre Initiative sehr gut. Ich habe während meiner Berlin Zeit auch mit Dennis Cory (damals noch Vorsitzender von IRIS) zusammengearbeitet und bin Ende Juni wieder für Lehraufträge an der HU in Berlin.

Viele Grüße und ganz viel Glück mit Ihrer Initiative.

Marion Felder
Dr. phil. M. Ed. Diplom-Heilpädagogin

Orientierungs-und Mobilitätslehrerin (COMS, USA)
Blinden- und Sehbehindertenlehrerin (CTVI, USA)
Taubblindenlehrerin
North Shore Education Consortium, Beverly, MA 01930

und
Deborah Crosby, M. Ed.
Orientierungs-und Mobilitätslehrin, COMS, USA

Eine Antwort zu Gastbeitrag: Vergleich der Kinderförderung in Deutschland und USA

  1. Schuster Sonja sagt:

    Hallo,
    ein interessanter Bericht. Allerdings fand ich den Abschnitt „Hier in den USA …“ zu verallgemeinernd positiv dargestellt. Aus eigener Erfahrung in den USA kann ich sagen, es hängt sehr vom Bundesstaat und der dortigen Infrastruktur ab, wie und wo ein Kind gefördert wird und die Beschreibung einer derartigen Auswahl an Schulen ist sicher eine große Ausnahme.
    Es ist richtig, dass dort sowohl mit Stocktraining als auch mit Braille deutlich früher begonnen wird, auch ist Kinderliteratur in Brailleschrift dort wesentlich preiswerter und in großer Auswahl zu bekommen.
    Aber egal wo (hier oder in den USA), im Gespräch mit anderen Eltern hatte/habe ich immer das Gefühl, es liegt zu einem Großteil an uns selber, uns zu informieren und dann die beste Förderung für unsere Kinder zu veranlassen.
    Danke für euer Engagement und diese tolle informative Seite!

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