Wir fordern juristische Durchsetzungsmöglichkeit im Behindertengleichstellungsgesetz

Wir meinen: Nur wenn Barrierefreiheit und Gleichstellung einklagbar ist, wird sie von den Verantwortlichen umgesetzt.

Broschürentitel Design for All

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Seit 2009 gilt auch in Deutschland die UN Konvention zu den Rechten von Menschen mit Behinderungen. Doch Gesetze, die die Konvention in wichtigen Bereichen umsetzen, lassen lange auf sich warten. Jetzt soll endlich das Behindertengleichstellungsgesetz (von 2002, 2007 ergänzt) neu gefasst werden, ein erster Entwurf zur Novellierung dieses Gesetzes ist bereits im parlamentarischen Prozess und hat den Bundesrat schon passiert.
Doch wie so oft droht, dass die Chancen einer solchen Neuausrichtung eines Gesetzes mit Signalwirkung für die Inklusion in Deutschland wieder nicht genutzt werden. Dabei hätte es in anderen Ländern gute und schon lange bewährte Vorbilder gegeben. Und die Kritik des UN-Ausschusses zur Überwachung der bisherigen Umsetzung der UN-Konvention ist massiv.

Die alltäglichen Barrieren kann großteils nur die Privatwirtschaft abbauen. Daher muss ein Bewusstsein für die Rechte und Pflichten her.


Regal mit Haushaltchemie

Regal mit Haushaltchemie. Im Supermarkt sind Produkte heute für Blinde und Sehgeschädigte nicht auffindbar und nicht unterscheidbar.

Besonderer Streitpunkt beim Behindertengleichstellungsgesetz (BGG): Wer soll zur Barrierefreiheit verpflichtet werden – nur die staatlichen Stellen oder auch die private Wirtschaft? Damit das Behindertengleichstellungsgesetz seinem Namen auch gerecht wird, muss selbstverständlich auch der private Sektor eingeschlossen werden und durch Ziele oder einen Stufenplan auch ernsthaft die Umsetzung verfolgt werden.
Anderes Sehen e.V. hat mit dem folgenden Schreiben an wichtige Abgeordnete im Bundestag appelliert, für entsprechende Nachbesserungen bei der Gesetzesnovelle zu sorgen.
Wenn schon, denn schon!

Abgeordnete bzw. Ausschussmitglieder entscheiden für uns, ob das Recht durchsetzbar ist, daher schreiben wir sie an.

Das Schreiben ging an

  • die Mitglieder des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Bundestags
  • die behindertenpolitischen Sprecher/innen der Fraktionen des Bundestags
  • MdBs, die Direktmandate in Berlin errungen haben.

Stellungnahme des Deutschen Instituts für Menschenrechte zum Gesetzentwurf der Bundesregierung.

Weiter unten unser Brief
und hier die


Reaktionen


Die Anhörung im Bundestag

Die Anhörung im Bundestag zum Nachhören mit allen Beiträgen der Redner nach Redner geordnet finden Sie hier zusammengetragen.  Insgesamt verlief alles erwartungsgemäß, ohne besondere positive Entwicklungen. Insbesondere das Beharren der Mitglieder der Regierungsparteien darauf, dass die privatwirtschaftlichen Anbieter sicher irgendwann freiwillig etwas tun werden, erscheint uns geradezu lächerlich angesichts der vergangenen Jahre, in denen das erwiesenermaßen auch zu nichts geführt hat.


 

Die Antworten auf unseren Brief


Uwe Schummer, Beauftragter für Menschen mit Behinderungen der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag.

Uwe Schummer CDU/CSU will nicht im Sinne der Behinderten abstimmen:

„Anbieter privater Güter und Dienstleistungen werden wir mit dem BGG zum jetzigen Zeitpunkt nicht zur Barrierefreiheit verpflichten. Wir setzen auf das Prinzip der Freiwilligkeit …“ 

Anderes Sehen: Wir halten Schummers Einstellung nicht für zielführend. Wir erwarten von einem Behindertenbeauftragten und MdB etwas anderes, als zugunsten der Wirtschaftsschonung auf Rechte von Menschen mit Behinderung zu verzichten. Freiwilligkeit genügt nicht, wenn es um Menschenrechte geht. Bei der Schulpflicht, der Lebensmitteldeklaration und im Straßenverkehr wird aus gutem Grund nicht auf Freiwilligkeit gesetzt. Wir brauchen Behindertenvertreter, die sich für Behinderte einsetzen. Ein Behindertenvertreter darf nicht davon abrücken das Ziel der Gleichstellung zu fordern um Fortschritte dorthin zu erreichen.


Corinna Rüffer MdB, Behindertenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Corinna Rüffer Bündnis 90/Die Grünen wird sich dafür einsetzen, dass auch für privatwirtschaftliche Angebote verpflichtende Regelungen zur Barrierefreiheit geschaffen werden: 

„Verpflichtungen für die Privatwirtschaft wären ein Schritt in die richtige Richtung, doch diese Chance verpasst die Bundesregierung. Es ist offensichtlich, dass sich hier ökonomische Interessen gegenüber Menschenrechten durchgesetzt haben.“ 

Anderes Sehen: Corinna Rüffer trifft mit Ihrer Aussage den Nerv der Betroffenen. Sie wird damit Ihrem Auftrag als Sprecherin gerecht.

➔ Zu den vollständigen Reaktionen im Wortlaut


Kerstin Tack, Behindertenbeauftragte der SPD Bundestagsfraktion.

Kerstin Tack, SPD, verweist auf Diskussionen und Evaluationen und vermeidet dabei eine klare Aussage, dass sie nicht für die juristische Durchsetzung der Rechte stimmen wird: 

„Die Frage, inwiefern die Privatwirtschaft zur Herstellung von Barrierefreiheit verpflichtet werden kann, wird berechtigter Weise immer wieder diskutiert.“ 

Anderes Sehen: Kerstin Tack setzt sich nicht dafür ein, dass Behinderte möglichst bald ihre Rechte auch in Anspruch nehmen können. Ihre Antwort an Raul Krauthausen verlangt in erster Linie Aufschub für jegliche Entwicklung. Dabei würden wieder Jahre ins Land gehen. Die Sorge, dass Menschenrechte zu teuer sein könnten ist für uns Betroffene nicht nachvollziehbar, zumal der Bund behinderter Journalisten eine sehr wirtschaftsverträgliche und besonders kleinunternehmerverträgliche Formulierung für das Gesetz vorgeschlagen hat.

➔ Zu den vollständigen Reaktionen im Wortlaut


Unser Brief an Abgeordnete bzw. Ausschussmitglieder:

Bitte machen Sie sich für echte Gleichstellung im Behindertengleichstellungsgesetz stark

(jeweilige Anrede),
im Bundestag werden Sie als Abgeordnete/r bzw. Ausschussmitglied in Kürze über einen Entwurf zur Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsgesetzes debattieren und mitbestimmen.

Anderes Sehen e.V. ist eine gemeinnützige und im deutschsprachigen Raum aktive Organisation mit Sitz in Berlin. Wir setzen uns für eine umfassende, auf Inklusion zielende Förderung junger blinder und sehbehinderter Menschen ein – durch eigene Projekte ebenso wie als Impulsgeber für inklusive Politik.

Von Ihren Entscheidungen in der Debatte werden wir direkt betroffen sein und deshalb möchten wir Ihnen einige Erfahrungen schildern und unsere Sicht zu Verbesserungsmöglichkeiten des Gesetztesentwurfs ans Herz legen.

Die folgende Situationsbeschreibung werden wir in Kürze auch auf unserer Website veröffentlichen und Journalisten zur Verfügung stellen.
Wenn Sie unsere unten folgenden Forderungen an das Gesetz auch wichtig finden, (Privatwirtschaft einbeziehen, Ziele und Überprüfung festlegen), nennen wir Sie gern namentlich als Unterstützer/in oder veröffentlichen Ihre abweichende Meinung dazu.
Wir sind gespannt auf Ihre Antwort!

Die Situation junger blinder und sehbehinderter Menschen ist unter heutigen Voraussetzungen alles andere als rosig:

  • Chancen auf einen späteren Arbeitsplatz und eine beruflich erfüllende Tätigkeit sind gering und deutlich schlechter als bei nicht-sehbehinderten Menschen.
  • Inklusive Bildung in Kindergarten, Schule und Ausbildung oder Studium ist längst noch nicht Realität. Für nötige Unterstützung wie Assistenzlehrer und Fördermaßnahmen werden oft die Budgets oder qualifiziertes Personal nicht oder nicht ausreichend zur Verfügung gestellt.
  • Im Alltag dominieren Barrieren und nicht die Barrierefreiheit, z.B.
    Nur auf Medizinverpackungen findet sich die Punktschrift, im ebenso lebensnotwendigen Lebensmittelbereich dagegen überhaupt nicht.
  • Nur ein verschwindend kleiner Anteil von Publikationen ist für blinde und sehbehinderte Menschen erreichbar. Der Marrakesch-Vertrag, der das verbessern würde, wird derzeit auch von Deutschland in der Ratifizierung auf EU-Ebene ausgebremst!
  • Im WorldWideWeb sind viele Webseiten oder Webseiteninhalte nicht für Sprach- oder Brailleausgabe geeignet, dies betrifft insbesondere Webseiten privater und kommerzieller Anbieter des alltäglichen Bedarfs.
  • Unterstützungssyssteme greifen oft zu kurz: aus falsch verstandener Sparsamkeit bzw. fehlendem Kriterium langfristiger Wirkungsorientierung werden Hilfen zwar gewährt, aber oft in einer Weise limitiert, die den eigentlichen Zielen dieser Hilfen entgegenwirkt. Beispiel: Der Langstock (“Blindenstock”) und das Training damit wird i.d.R. erst mit Schuleintritt verordnet und von den Kassen übernommen. Die Bewegungsfreude beginnt jedoch i.d.R. mit dem Laufenlernen, wie bei sehenden Kindern auch.
  • Die Schulung innovativer Methoden wie Klicksonar-Training (aktive Echoortung, die zusammen mit dem Langstock autonome Mobilität erleichtert), die etwa in Österreich praktisch “Regierungsprogramm” ist, fehlt in Deutschland noch und ist auf Privatinitiative begrenzt.
  • Wenn ein/e blinde/r Student/in für sein/ihr Studium umziehen muss, wird kein Mobilitätstraining gewährt, da dies an die Verordnung “Blindenstock” gekoppelt ist.
  • Museen und Austellungen präsentieren ganze Ausstellungen, selbst banale Objekte, hinter Glas, bieten keine Beschreibung und Orientierung, werden mithin nicht ihrem Bildungs- und Kulturauftrag gerecht und sind ein Symbol für Bildungsbarrieren.
  • Öffentliche Bibliotheken haben keine Bücher für blinde Kinder und Erwachsene. Generell sind fast keine Bücher (auch nicht für Grundbildung) für die blinde Bevölkerung vorhanden oder nur höchst aufwendig zu bekommen.
  • Schulbuchverlage denken und arbeiten noch nicht barrierefrei.
  • Kindergärten und Schulen lehnen willkürlich blinde Kinder ab.
  • Verlage verweigern Herausgabe von Vorlagen zur Adaption kindgerechter Vorschul- und Erstleserbücher.

Ein ganz entscheidender Punkt ist, dass der Gesetzesentwurf der Bundesregierung vorsieht, private Anbieter von Dienstleistungen und Produkten nicht zur Barrierefreiheit zu verpflichten. Das sehen wir mit großer Sorge, denn im Alltag stoßen junge blinde und sehbehinderte Menschen täglich auf die o.g. Barrieren, die vom jetzigen Gesetzesentwurf nicht erfasst werden.

In anderen Ländern wie den USA mit dem “Americans with Disabilities Act (ADA)” oder den skandinavischen Ländern ist man da schon viel weiter, teils seit Jahrzehnten. Es ist daher nicht akzeptabel, mit einem deutschen Gesetzesentwurf hinter solche Standards guter Praxis zurück zu fallen.

Schon der Bundesratsausschuss für Soziales hat sich dafür ausgesprochen, die Privatwirtschaft einzubeziehen:
http://www.kobinet-nachrichten.org/de/1/nachrichten/33143/Bundesratsausschuss-für-Barrierefreiheit-Privater.htm

Mit dem „Vorschlag des Forums behinderter Juristinnen und Juristen für eine Rechtsnorm zur Verpflichtung der Privaten zur Barrierefreiheit und Umsetzung der angemessenen Vorkehrungen“ gibt es auch schon einen konkreten Vorschlag zur Umsetzung: http://www.isl-ev.de/attachments/article/1438/160302_Vorschlag_Private_BGG.pdf

Wir bitten Sie daher:
Stimmen Sie dem Gesetz nur zu, wenn es auch die Privatwirtschaft einbezieht. Es lassen sich Möglichkeiten für pragmatische Lösungen zum Beispiel für Kleinstunternehmen finden.
Sorgen Sie dafür, dass z.B. Ziele, Stufenpläne und ein Monitoring vereinbart werden.
Vielen Dank für Ihr Engagement für allein mehr als 7,5 Millionen Schwerbehinderte und etwa jede/n achte Bürger/in unseres Landes.
Vielen Dank für Ihr Engagement für die vielen Menschen mit (Seh-)Behinderungen in Deutschland.

Für Anderes Sehen e.V.
Steffen Zimmermann
Ellen Schweizer


Die Antwort Uwe Schummers vollständig im Wortlaut:

Betreff: AW: Bitte machen Sie sich für echte Gleichstellung im Behindertengleichstellungsgesetz stark
10. März 2016, 15:35 Uhr

Sehr geehrte Frau Schweizer, sehr geehrter Herr Zimmermann,

vielen Dank für Ihre E-Mail vom 8. März 2016.

Wir werden am 17. März 2016 den Gesetzentwurf zur Reform des Behindertengleichstellungsgesetzes erstmals im Parlament beraten. Danach wird es für Verbände und Sachverständige die Möglichkeit geben, ihre Positionen zum Gesetz im Rahmen einer Anhörung darzustellen. Danach werden wir in der Koalition entscheiden, an welchen Stellen möglicherweise noch Änderungsbedarf besteht und diese Änderungen im weiteren Verlauf vornehmen.

Über das BGG verpflichtet sich der Bund, Barrierefreiheit und damit ein wesentliches Ziel der UN-BRK in den Bereichen, für die er verantwortlich ist, schrittweise umzusetzen. Die Bundesländer haben in ihrer Stellungnahme vom 26.2.2016 den Gesetzentwurf begrüßt. Sie werden ihre Landesgleichstellungsgesetze in naher Zukunft an das neue BGG anpassen.

Mit dem neuen BGG werden erstmals auch Drittmittel, mit denen der Bund Institutionen fördert, an das Kriterium der Barrierefreiheit gekoppelt. Damit wirkt das Gesetz auch mittelbar in die Wirtschaft hinein. Die neue Bundesfachstelle für Barrierefreiheit soll unter anderem auch der Wirtschaft als Informations- und Anlaufstelle für Fragen rund um das Thema zur Verfügung stehen. Hiervon erwarte ich langfristig positive Effekte für eine barrierefreie Umgebung.

Anbieter privater Güter und Dienstleistungen werden wir mit dem BGG zum jetzigen Zeitpunkt nicht zur Barrierefreiheit verpflichten. Wir setzen auf das Prinzip der Freiwilligkeit und wollen das Bewusstsein für Menschen mit Beeinträchtigungen als Kunden weiter schärfen. Dazu brauchen wir auch die Unterstützung der Verbände und der gesamten Zivilgesellschaft. Mit dem Instrument der Zielvereinbarungen können Veränderungen angestoßen werden. Allein die demografische Entwicklung führt schon heute zu einem Umdenken bei vielen Gewerbetreibenden, ihre Produkte und Dienstleistungen oder Räumlichkeiten barrierefrei oder zumindest barrierearm zu gestalten. Dieser Trend wird sich sicherlich fortsetzen.

Wichtig ist, dass wir erfolgreich gegen die Barrieren in den Köpfen anarbeiten von denjenigen, die immer nach Begründungen suchen, warum Barrierefreiheit nicht machbar ist.

Es grüßt herzlich
Uwe Schummer MdB
Beauftragter für Menschen mit Behinderungen
der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag
Platz der Republik 1
11011 Berlin


Die Antwort von Corinna Rüffer MdB, vollständig im Wortlaut:

Betreff: AW: Bitte machen Sie sich für echte Gleichstellung im Behindertengleichstellungsgesetz stark
14. März 2016, 10:41 Uhr

Sehr geehrte Damen und Herren,

Frau Rüffer unterstützt gerne namentlich Ihren Aufruf.

Auch Frau Rüffer sieht die fehlenden Verpflichtungen für die Privatwirtschaft bei der Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) besonders kritisch. Natürlich ist es positiv zu bewerten, wenn sich der Bund zu Barrierefreiheit und Gleichstellung verpflichtet. Die meisten Menschen nutzen jedoch private Geschäfte, Gaststätten, Kinos, Cafés usw. deutlich häufiger als Ministerien und Behörden. Von einer gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderung sind wir noch weit entfernt. Verpflichtungen für die Privatwirtschaft wären ein Schritt in die richtige Richtung, doch diese Chance verpasst die Bundesregierung. Es ist offensichtlich, dass sich hier ökonomische Interessen gegenüber Menschenrechten durchgesetzt haben.

Die Bundesregierung scheut außerdem verbindliche zeitliche Verpflichtungen beim Abbau von Barrieren. Bis zum Jahr 2021 sollen Barrieren in bestehenden Gebäuden und im Intranet der Bundesministerien und –behörden zwar erhoben werden, allerdings gibt es keine zeitlichen Fristen, bis wann diese Barrieren abgebaut werden sollen. Der von der Bundesregierung im Januar vorgelegte Entwurf enthält auch einige Verbesserungen (z.B. Schlichtungsstellen), ist insgesamt aber mutlos und alles andere als ausreichend.

In den anstehenden Beratungen zum BGG werden wir uns dafür einsetzen, dass auch für privatwirtschaftliche Angebote verpflichtende Regelungen zur Barrierefreiheit geschaffen werden. Ein Antrag zum BGG befindet sich derzeit in Abstimmung.

Mit freundlichen Grüßen
i.A. Anna Wiegand

___
Anna Wiegand
Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Corinna Rüffer MdB
Behindertenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen
Platz der Republik 1 | 11011 Berlin
Tel.: 030/227-72540 | Fax: 030/227-76042
Mail: corinna.rueffer.ma09@bundestag.de

 


Die Antwort von Kerstin Tack, Behindertenbeauftragte der SPD Bundestagsfraktion, vollständig im Wortlaut:

„Die Frage, inwiefern die Privatwirtschaft zur Herstellung von Barrierefreiheit verpflichtet werden kann, wird berechtigter Weise immer wieder diskutiert. Durch § 5 des BGG zu Zielvereinbarungen werden Verbände, die die Belange von Menschen mit Behinderungen fördern, darin unterstützt, mit Wirtschaftsunternehmen bzw. deren Verbänden privatrechtliche Vereinbarungen über die Herstellung von Barrierefreiheit zu treffen. Mit der anstehenden Novellierung des BGG soll das Instrument der Zielvereinbarungen weiter gestärkt werden, indem die geplante Bundesfachstelle für Barrierefreiheit die Beteiligten in den Verhandlungen unterstützen soll.
Grundsätzlich unterstütze ich die auch vom UN-Fachausschuss zur UN-BRK im letzten Jahr noch einmal untermauerte Forderung, dass auch für Privatunternehmen klare Regeln gelten müssen, damit Menschen mit Behinderungen deren Angebote und Arbeitsplätze gleichberechtigt nutzen können. Das BGG verpflichtet jedoch nur Träger der öffentlichen Gewalt. Demgegenüber sollen Benachteiligungen aus Gründen einer Behinderung durch die Privatwirtschaft mit den Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) verhindert oder beseitigt werden.
Das AGG wird derzeit im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes evaluiert. Ziel der Evaluierung ist es, die praktische Wirksamkeit des AGG zu überprüfen und etwaige gesetzliche Umsetzungsdefizite sowie Schutz- und Regelungslücken aufzudecken. Auch die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention zur barrierefreien Zugänglichkeit aller Lebensbereiche für Menschen mit Behinderungen finden dabei Berücksichtigung. Die Ergebnisse der Evaluierung und entsprechende Handlungsempfehlungen wurden für den Sommer dieses Jahres angekündigt und bleiben zum jetzigen Zeitpunkt somit abzuwarten.
Wichtige Impulse für die Herstellung von Barrierefreiheit in der Privatwirtschaft erwarte ich zudem von der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen in den Mitgliedsstaaten. Diese befindet sich derzeit in Arbeit und würde als European Accessibility Act dem von Ihnen erwähnten Americans with Disabilities Act ähneln. Der erste Vorschlag vom 2. Dezember 2015 wurde in der zuständigen Ratsarbeitsgruppe am 21. Januar 2016 in Brüssel durch alle anwesenden Vertreterinnen und Vertreter der Mitgliedsstaaten in seiner die Zielsetzung begrüßt.“

 

 

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Eine Antwort zu Wir fordern juristische Durchsetzungsmöglichkeit im Behindertengleichstellungsgesetz

  1. A. Roemer sagt:

    Sehr geehrte Ministervertreter des Bundes aller Parteien,
    es ist ja sehr zuvorkommend, wenn Gesetze erarbeitet werden und somit Interesse bekundet werden an einer Benachteiligung und somit Diskriminierung. Allerdings fehlt es doch sehr an der Umsetzung. In Behörden wird dies allerdings zumindest ansatzweise mit Erfolg vollbracht, wenngleich noch nicht alles perfekt ist. So durfte ich z.B. in die Rentenversicherung Nord nicht in die Kantine und zur Beratung nur mit Ach und Krach. Nur weil mein Assistenzhund dort nicht mit hereingelassen wurde. Er ist aber ein Hilfsmittel. Dies ist abschaltbar und kostet noch nicht einmal Geld. Es genügt Ihre Mitarbeiter darauf hinzuweisen, dass Assistenzhunde eine Ausnahme vom Zutritttsverbot für Hunde darstellt.
    Ein weiteres Problem, welches gravierender ist, ist der Brandschutz. Sicher wird daran gedacht, dass diese Brandschutzmaßnahmen eingehalten werden. Dafür gibt es auch regelmäßige Kontrollen der Feuerwehren. Vergessen wird aber dabei, dass es auch Menschen gibt die vielleicht einen Alarm noch hören, aber dann nicht wissen was los ist und die Durchsagen von evetnuellen Evakuierungsleuten, die dafür eingeplant sind dass alles koordiniert abläuft. Dafür werden auch zur Verstärkung der Sprache Megaphone benutzt.
    Aber was hilft es einem Hörgeschädigten, der diese Durchsage nicht versteht?

    Im Falle von dem Londoner Hochhausbrand ist zweifelhaft, ob diese Leute dann überhaupt noch eingesetzt werden können. Dazu war der RAuch und das Flammenmeer viel zu heftig.

    Jeder ist meistens nur daraauf bedacht die Flucht zu ergreifen und so schnell wie möglich hier aus der Gefahrenlage zu entkommen bis zum Eintreffen der Feuerwehr. Nur sie kann mit ihrer Schutzkleidung und Atemschutzmasken versuchen Menschen noch zu retten.

    Ich habe schon vor Jahren , auch beim BAu der Elbphilharmonie darauf hingewiesen, dass die RAuchmelder doch bitte neben dem akustischen Alarm auch mit Blinkendem Blitzlichtgewitter ausgestattet werden sollen. Dies ist technisch auch möglich und kostet der Indutrie bei der Herstellung nicht so viel mehr, als ein normaler Rauchmelder, der ja in Massen produziert wird und somit stellt sich mir die Frage, warum nicht auch die optischen Reize ausgenutzt werden. Auf Anfrage der Indutriehersteller von solchen Rauchmeldern, wird mir mitgeteilt, dass es dafür ja keine gesetzliche Vorschrift gibt, dies zu tun und darum müssen sie das auch nicht machen. Deshalb ist Ihre obige Forderung, dass es freiwillig von der Wirtschaft getan würde, wenn man die Einsicht mitteilen würde und darum keine Gesetze hierfür notwendig seien, nicht akzeptabel. DAs gleiche gilt für Behinderten WC in REstaurant.
    Es besteht Einsicht, dass es erforderlich wäre, damit Behinderte nicht benachteiligt werden, aber die Gesetze sehen dies nicht vor, und darum werden sie auch nicht umgebaut, bei Altbauten. Bei Neubauten hängt es davon ab, ob der Restaurantbesitzer schon bei der Planung sein Restaurant gerne eröffnen will. Hier sind aber oft große Bürovermietungs-Unternehmen tätig. die dann im Vorwege gar nicht wissen an wen solche Büros oder Geschäfte vergeben werden. Spätestens bei der Vermietung von Räumen sollte beim Restaurantbesitzer angefordert werden, nur dann die Vermietung erlauben zu können, wenn die Behindertengerechte WC ein oder umgebaut werden, sobald der Wille bekundet ist, ein solches REstaurant zu eröffnen. Wie ein solches ausgestatten wird steht in der Bauordnung DIN 1080. Allerdings wurde auch hier vergessen, dass es Menschen gibt, die Rauchmelder nicht hören können und somit desinformiert bleiben, wenn ein WC aufgesucht würde.

    Es gibt zwar spezielle RAuchmelder für Hörgeschädigte im eigenen Wohnraum, nicht aber in öffentlichen GEbäuden , sowie Restaurant, Einkaufszentren, Musikfestival, Kino, Theaater usw.

    Deshalb ist auch in Behörden noch ein erheblicher Aufwand nötig, bis Diskriminierungen und Benachteiligungen aufgehoben sind trotz großer Anstrengungen und Bemühungen.
    Meine Schwierigkeit liegt nun darin zu verstehen, wieso, man trotz Hinweisen und AGG und BGG keine Umsetzbarkeit möglich sollen.
    Hierauf hätte ich gerne eine Antwort der politisch Verantwortlichen….Danke, wäre sehr nett.
    Mit freundlichem Gruss
    A. Roemer

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