Internationale Konferenz an der Humboldt-Universität zu Berlin
Die bildungspolitische Umsetzung von Inklusion in Schulen – ein Dialog zwischen Wissenschaft und Politik
Skript des Impulsvortrages von Steffen Zimmermann zum Abschlusspodium „Wie verändert Inklusion das Bildungsverständnis?“ der Konferenz am 1. Juli 2017. Moderation Prof. Dr. Martin Heinrich, Universität Bielefeld.
Mein Name ist Steffen Zimmermann. Ich bin Gründer und Vorstand der Organisation Anderes Sehen.
Unsere Ziele sind die Unterstützung von Inklusion blinder Kinder durch Entwicklung oder Verbreitung zeitgemäßer Methoden und innovativer Produkte und Einflussnahme im politischen, sozialen und wirtschaftlichen Bereich. Unsere Erfolge sind u.A. die Idee und Serienproduktion des weltweit ersten Kinderlangstocks, Einführung von der Klicksonar-Echoortungs-Methode in Deutschland, Österreich und der Schweiz, hochwertige Inklusive Kinderbücher und andere Produktinnovationen sowie fundamentale Veränderungen in der Blindenpädagogik. Inklusion steht dabei hinter jeder Maßnahme.
Welche Veränderungen im Bildungsverständnis haben wir also aus unserer Perspektive wahrgenommen?
Wir hören und beobachten Eltern blinder Kinder aus unserem bundesweiten Einflussbereich mit zunehmender Sorge was die äußeren Bedingungen angeht – aber mit steigendem Selbstbewusstsein, was die Rechte ihres Kindes angeht. Wir hören von wachsender Verzweiflung und manchmal blankem Entsetzen. Wir hören von Verzweiflung und manchmal blankem Entsetzen. Zum Beispiel wenn Eltern in Dresden feststellen, dass es in Sachsen, das sich ja selbst für sein Bildungsniveau und eine hohe Inklusionsrate lobt, keinen einzigen verfügbaren Blindenpädagogen gibt. Eltern wird auf persönlichster Ebene das jahrelange Aussitzen von Inklusion, das Wegschieben, die Ignoranz der Politik bewusst. Sehenden Auges wurde hingenommen, dass Ressourcen wie Sonderpädagogen trotz steigenden Bedarfes schwinden — dass sich aufgrund ausbleibender Gegenmaßnahmen die Voraussetzungen für Inklusion sogar verschlechtern.
Was sich auch änderte ist, dass die Mehrheit der veröffentlichten Berichte in den Medien vorwiegend die tatsächlichen und scheinbaren Probleme der Inklusion gezeigt haben. Negative Berichte in den Medien sind lauter geworden und betroffene Eltern sehen sich in einer Verteidigungshaltung. Es fühlt sich für sie an wie ein Kampf gegen Goliath. Viele Eltern und Lehrer haben inzwischen an Mut verloren … Sehr häufig wird Eltern empfohlen, das Risiko der Inklusion unter diesen Bedingungen ihren Kindern nicht zuzumuten. Oft zurecht!
Für eine optimale inklusive Beschulung in den staatlichen Schulen gibt es auch in Berlin keine Lösung. Die Kritik stimmt: Zu große Klassen, nur ein Lehrer in der Klasse, und kaum Sonderpädagogen an Schulen. Erst recht keine spezialisierten. Eine moderne Schule in freier Trägerschaft ist derzeit die einzige Lösung, die unser Bedürfnis nach echter Chancengleichheit und angemessener Unterstützung sicherstellt.
Für fast alle Kinder – ob mit oder ohne Behinderung – sind die mangelhaften Bedingungen an den Schulen ein Nachteil – darauf wird seit Jahrzehnten ohne Folgen hingewiesen. Für Kinder mit besonderen Bedarfen sind sie aber tatsächlich ein Hindernis. Der Wille, die Mittel und die Gesetze sind als Voraussetzung für Inklusion noch immer nicht gegeben. Grundsätzlich besteht insbesondere in der Bildungs-Elite keine Bereitschaft vom anti-inklusiven mehrgliedrigen Schulsystem abzulassen. Hier wird auch voraussichtlich auf Jahrzehnte hinaus kaum Bewegung stattfinden und daher „exklusive Bildung“ durch „Exklusion von heutigen Bildungsrandgruppen“ festgebacken.
Wir sehen vor allem Veränderungsträgheit — Völlig unzureichende Investitionen in Personal. 100.000 Lehrer müssen in Deutschland zusätzlich eingesetzt werden, um Lernen unter normalen Bedingungen für alle erst möglich zu machen.
Inklusion hat scheinbar keinen politischen Nutzen. So wurde von der Regierungskoalition erst letztes Jahr die rechtliche Gleichstellung behinderter Menschen in namentlicher Abstimmung abgelehnt … Begründung? … Weil die betroffenen Menschen dann gegebenenfalls ihre Rechte auch einfordern könnten, und das für die Wirtschaft nicht zumutbar sei! Man kann heute schon absehen, dass sich die Parteien für diese Menschenrechtsverletzung in ferner Zukunft entschuldigen werden, aber für die nächste Zukunft wird Inklusion dadurch ausgeschlossen.
Schulische Bildung wird auch von Fachkräften leider oft noch als Zumutung für die behinderten Schüler empfunden, vor der man sie verschonen müsse. Wir hören oft: „Das braucht das Kind doch nicht unbedingt“, „das lassen wir einfach weg“, „das reicht schon so“ … Es scheint nicht überall durchgedrungen zu sein, dass, im Gegenteil, Bildung eine wesentliche Voraussetzung für Teilhabe ist.
Und ohne Teilhabe vom ersten Tag an, ist eine inklusive Gesellschaft ohne Vorbehalte nicht denkbar.
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Schauen wir nicht auf die gewünschten oder notwendigen Veränderungstendenzen sondern auf die faktischen oder die gefühlten, so mache ich folgende aus:
Bildung ist ein traditionelles Elitemerkmal –> Sorge vor Verlust des Elitestatus
Schulbildung ist ein Almosen für behinderte Kinder –> inklusive Bildung ist Überforderung für behinderte Kinder und ihre Lehrer
„Verschonung“ vor der Peer Group -> Lernen und Leben wollen mit den Peers
Super Artikel, aber dort, wo man ihn teilen können sollte, sind einige Links nicht, bzw. falsch getagged, nicht barrierefrei.