Der konkrete Fall: Ein blinder Mann hat sich als Beamter für eine 50% Selbstständigkeit als Künstlermanager entschieden. Eine Arbeitsassistenz für diese Tätigkeit wurde ihm vom Integrationsamt in Schleswig-Holstein verweigert. Diese Entscheidung wurde zunächst in zwei Instanzen bestätigt. Der Fall kam damit vor das Bundesverwaltungsgericht. Dort wurde nun im Sinne des Klägers entschieden (https://www.bverwg.de/pm/2018/1).
Dr. Michael Richter von der rbm gGmbH, der Rechtsberatungsgesellschaft des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes e.V. (DBSV), hat den Kläger vor dem Bundesverwaltungsgericht vertreten. Er kommentiert die Entscheidung: „Das ist ein Meilenstein! Die Entscheidung bedeutet mehr Flexibilität und Wahlfreiheit für behinderte Berufstätige. Der Pressemitteilung des Gerichtes ist zu entnehmen, dass die sehr restriktive Praxis der Integrationsämter bei der Bewilligung von Arbeitsassistenz nicht der geltenden Rechtslage entspricht. Für besonders bemerkenswert halte ich die Feststellung, dass der Anspruch auf Arbeitsassistenz nicht nur der Vermeidung von Arbeitslosigkeit von Menschen mit einer Behinderung dient, sondern auch zur Chancengleichheit dieses Personenkreises auf dem Arbeitsmarkt beitragen soll. Das ist eine ganz neue Herangehensweise, die dem Gedanken der Behindertenrechtskonvention entspricht und weitreichende Konsequenzen haben kann.“
Pressemitteilung Bundesverwaltungsgericht Leipzig
Nr. 1/2018 vom 25.01.2018
Arbeitsassistenz für eine Erwerbstätigkeit eines schwerbehinderten Menschen trotz anderweitiger Beschäftigung
Dem Anspruch eines schwerbehinderten Menschen auf Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz steht nicht entgegen, dass dieser bereits eine andere Teilzeitbeschäftigung ausübt. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig mit Urteil vom 23. Januar 2018 entschieden.
Der Kläger ist blind und zu 100 % als Schwerbehinderter anerkannt. Er steht seit 2000 als Beamter im Dienst des luxemburgischen Staates. Bis 2013 reduzierte er schrittweise diese Tätigkeit auf 50 %, um daneben eine von ihm 2008 gegründete Firma zu betreiben, die Künstler vermittelt und managt. Hierfür begehrte er die Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz. Der Beklagte lehnte diesen Antrag im Wesentlichen mit dem Hinweis auf die fehlende Notwendigkeit ab. Die Kostenübernahme diene dem Abbau der Arbeitslosigkeit unter schwerbehinderten Menschen. Der Kläger sei indessen nicht arbeitslos, sondern durch seine Berufstätigkeit als Beamter bereits in das Arbeitsleben integriert. Die nach Zurückweisung des Widerspruchs erhobene Klage war in beiden Vorinstanzen erfolglos.
Das Bundesverwaltungsgericht hat das Urteil des Oberverwaltungsgerichts aufgehoben. Nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch haben schwerbehinderte Menschen Anspruch auf Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz als begleitende Hilfe im Arbeitsleben. Die Notwendigkeit der Arbeitsassistenz ist nicht deshalb zu verneinen, weil der schwerbehinderte Mensch bereits einer anderen Teilzeitbeschäftigung nachgeht. Zwar kommt dem Abbau der Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen im Rahmen der auf die Erwerbstätigkeit bezogenen Regelungen des Schwerbehindertenrechts eine wesentliche Bedeutung zu. Drohende oder bereits eingetretene Arbeitslosigkeit des schwerbehinderten Menschen stellen aber keine notwendigen Bedingungen für die begehrte Kostenübernahme dar. Der Anspruch auf Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz dient auch der Chancengleichheit schwerbehinderter Menschen im Arbeitsleben. Deshalb ist es (wie bei nichtbehinderten Menschen) grundsätzlich ihre Sache zu entscheiden, welchem Beruf sie nachgehen, ob sie diesem ihre Arbeitskraft vollumfänglich widmen oder ob sie diese anteilig für mehrere Erwerbstätigkeiten einsetzen. Ebenso wenig darf es sich zum Nachteil schwerbehinderter Menschen auswirken, wenn sie sich entscheiden, den Umfang einer ausgeübten Beschäftigung zu reduzieren oder den Arbeitsplatz bzw. Beruf zu wechseln und für die neue Tätigkeit eine Arbeitsassistenz zu beanspruchen. Die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts ermöglichen nicht die Entscheidung, ob, in welcher Art und in welchem Umfang der Kläger bei seiner selbstständigen Erwerbstätigkeit zum Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile der Unterstützung bedarf. Deshalb ist die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.
Urteil vom 23. Januar 2018 – BVerwG 5 C 9.16 –
Vorinstanzen:
OVG Schleswig, 3 LB 17/15 – Urteil vom 18. Februar 2016 –
VG Schleswig, 15 A 295/14 – Urteil vom 11. Juni 2015 –
Es ist auf jeden Fall ein wichtiger Meilenstein zur Selbstbestimmung. a